Interview

Unsere Aufgabe ist es, nichts zu zerstören

Dylan Watson-Brawn kocht nicht, um darüber zu sprechen. Geredet wird trotzdem über ihn. Ohne sie herauszufordern führt er die etablierten Berliner Schnauzen vor: Mit Kochen, das in seiner Mitte ruht.

Ein Gespräch über Fokus, das Essen in Berlin und warum Geschmack wichtiger ist als Wissen

 

Dieses Interview erschien als Titel 2020 im Marmite Magazin Nr. 02/20

Die Stimmung könnte besser sein. Dylan Watson-Brawn steht an dem grossen Küchenblock in der Mitte seines Restaurants Ernst.

Es ist einer der ersten Frühlingstage in Berlin. Der schlaksige 26-Jährige bereitet ein Stück Mangalitzasau (16-jährig!) aus der Nähe von Wien zu. Vor Dylan liegen eine Cedrizitrone und ein weiss blühender Zweig, den er auf dem Weg zum Restaurant gepflückt hat. Ein schwarzes Brett, ein Messer, sonst nichts. Gestern Abend verkündete die deutsche Bundesregierung, dass Restaurants wegen der Corona Pandemie nur noch von 6 bis 18 Uhr geöffnet sein dürfen. Wie lange weiss niemand. Statt Menübesprechung betreibt das Team des Ernst nun akutes Krisenmanagement. Per Email und Telefon wird versucht Gäste zu erreichen, aufzuklären, im besten Fall die bereits gezahlten Tickets für das Menü im Ernst zu stunden. Rescheduling ist das Wort, das am häufigsten fällt. Immer wieder lauscht Dylan mit halbem Ohr auf die Bekanntgaben seine Kollegen, fragt nach, kommentiert, überlegt. Für das Interview sagt er nehme er sich trotzdem die Zeit, die es braucht

Ich habe dich gerade beim Kochen beobachtet. Es hat auf mich so gewirkt, dass du dich dabei etwas beruhigen konntest.

Ja, absolut.

Ist Kochen Meditation für dich?

Hmmm… ich denke es gibt einige Köche, die Restaurants betreiben, und dann nicht wirklich viel kochen. Sie betreiben es, sie organisieren es. Ich koche jeden Tag. Ich mache das Mise en place, ich koche während des Services. Ich koche das Fleisch, den Fisch und das Gemüse. Ich mag es. Kochen macht mich glücklich. Deswegen habe ich ein Restaurant. Um zu kochen.

Wie schwierig ist die aktuelle Situation für euch?

Unsere Gäste kaufen Tickets für das Menü Monate im Voraus. Mit dem Geld kaufen wir z.B. ein ganzes Schwein. Die Vorstellung, dass wir sechs Wochen oder länger keine Tickets verkaufen macht Angst. Das können wir nicht stemmen. Deswegen fragen wir aktuell die Gäste ob sie ihre Tickets canceln oder sie auf später verschieben wollen. 

Wie ist die Reaktion bislang?

Bisher haben die meisten entschieden ihre Tickets zu behalten, um sie später im Jahr einzusetzen. Ein Doktorpaar meinte, sie haben gerade eh so viel zu tun. Sie würden sich freuen, wenn sie irgendwann mal kommen können. Das Problem für uns ist aber auch, dass wir die Dinge zum gleichen Zeitpunkt wie unsere Gäste erfahren. D.h. wir können im Vorfeld keine wirkliche Entscheidung treffen. Erst wenn alle es wissen. Und dann werden wir schon von Emails überschwemmt.

Keiner weiß, wie lange der aktuelle Beschluss gültig ist, oder ob es noch strengere Massnahmen geben wird. Dann überlegen wir auch, ob wir stattdessen Lunch anbieten. Oder Boxen, um sie mit nach nach Hause zu nehmen. Das ist alles sehr schwierig, herauszufinden, was wir am besten machen können. 

Das Problem haben gerade viele Gastronomen

Ja. Ich verstehe auch, dass unser Menü für einige Menschen teuer sein kann. 

Am Ende geht es auch darum, ob Dir etwas wichtig ist. Möchtest Du Dich zu etwas verpflichten?

Aber dieses Restaurant hat die gastronomische Gestalt dieser Stadt verändert. 

Im Ernst geht es viel um Beziehungen. Zwischen Feld und Küche, Küche und Gast. Wie sieht Deine persönliche Beziehung zu Kochen und zu Essen aus?

Das ist kompliziert! Ich mag es mit guten Produkten zu arbeiten. Dazu gehört für mich auch der Bezug zur Landwirtschaft. 

Das macht die Mühe wert. Ich meine, in einem Restaurant zu arbeiten ist hart. Die langen Stunden und Tage. Wenn ich mit richtig guten Produkten arbeiten kann lohnt sich das. Einfach weil die Ergebnisse sehr eindrucksvoll sind. Wenn wir stattdessen mit schlechten Produkten arbeiten denke ich, lohnt sich die Mühe nicht. 

Bist du dann nicht zufrieden?

Generell?

Wenn du nicht mit hochwertigen Produkten arbeiten kannst…

Das befriedigt mich nicht. Es ist einfach nicht interessant. 

Wenn etwas keine gute Qualität hat ist es eindimensional. Dann kann man auch nur sehr eindimensional damit arbeiten. Nur wenn ich gute Früchte habe, kann ich gute Früchte servieren. Schmecken sie hingegen eindimensional, kann man sie eigentlich nur im Hinblick auf ihren Zuckergehalt, d.h. ihre Süße betrachten. 

Gute Produkte zu verwenden gibt dem Essen, das wir meinen zu kennen eine andere Dimension. Man kann es den Leuten auf eine komplett andere Weise präsentieren. Das macht es interessant.

Wie hat sich das verändert, als du nach Japan gegangen bist?

Ich wusste davor nicht, dass ich eine Beziehung zu Essen hatte. In Japan habe ich gelernt zu kochen, zu schmecken und zu fühlen. Ich glaube man entdeckt seine Beziehung zu Essen erst wieder. Als Kind ist man sich dessen nicht bewusst. Das ist so, wenn Leute sagen „Oh, Du wusstest dein ganzes Leben was du machen wolltest."Ich wusste nie was ich machen wollte. Absolut nicht. Auch jetzt nicht. Du findest Dich einfach in bestimmten Situationen wieder. Und entweder machst Du etwas oder nicht. So verhält es sich auch mit meiner Beziehung zum Essen. Muss man die Erfahrung, was man erlebt in dem Moment verinnerlichen? Nein. Du bist jung, du verstehst noch nicht was passiert. Das passiert später, mit der Zeit und mit Reflexion darüber.

Und in Japan hast du gelernt, dass Kochen vor allem auf der Qualität der Produkte basiert?

Zum Teil ja. Aber das kannte ich auch schon früher, vom Garten meiner Großmutter, aus dem sie immer gekocht hat. Ich hatte den Luxus schon als Kind zu sehen wie der Geschmack ganz einfacher Dinge von Faktoren wie Landwirtschaft und Frische abhängt. Das war sehr wirkungsvoll, denke ich.

Bei Nordamerika denken viele eher an Fast Food als an frisches Obst und Gemüse.

Ich glaube es ist wie hier. Auch in Europa beginnen viele erst damit, sich auf gutes Essen zu fokussieren. Geschichte wird stets auf eine bestimmte Weise erzählt. Viele Leute halten dann an dieser Idee der Geschichte fest. Z.B. die französische Küche: Frankreich hat großartiges Essen, historisch und kulturell gesehen. Aber wenn man nach Frankreich fährt, ist das Essen an vielen Orten überhaupt nicht großartig. Die Produkte sind nicht gut. Es ist das selbe wie überall sonst. 

Was denkst du denn über das Essen in Berlin?

Ich sehe es als eine Spiegelung der Geschichte der Stadt.

Weil es so viele unterschiedlich Kulturen gibt?

Nein. Das meine ich nicht. Sondern, dass es in Berlin seit den letzten 20ern keinen großen Stellenwert hatte gut zu essen. Stell dir das mal vor: Hundert Jahre, in denen Essen keine wichtige Rolle spielt. Das bedeutet, dass es keine Beziehung zu Qualität gibt. Du kannst den Leuten also Essen oder gastronomische Konzepte von geringer Qualität vorsetzen. Weil es besser ist als das, was sie kennen, genießen sie es. So geht ihre Idee von qualitativ hochwertigen Produkten verloren. Es ist nicht so, dass du diese Produkte hier nicht finden kannst. Die Menschen kennen sie einfach nicht. Wie können sie etwas wertschätzen, von dem sie nicht mal wissen, dass es existiert?

Verstehst du dich als Botschafter für dieses Produktverständnis?

Nein. Was ich möchte ist eine direkte, positive Wirkung auf die Menschen, die zu uns kommen. Wenn wir das auf eine Weise tun können, die darüber hinaus Bedeutung hat und die Perspektive dieser Menschen verändert, kann es zu Veränderungen kommen, die organisch entstehen. Ich sträube mich aber dagegen, eine bestimmte Nachricht verbreiten zu müssen. Ich steh nicht darauf zu reden. Es geht ums Machen. An vielen Orten geht es aber ums Reden, nicht ums Machen.

Ihr seid aber bekannt dafür, dass ihr viel über die Produkte erzählt, die ihr verwendet…

Bis zu einem gewissen Maße tun wir das, ja. Das hat sich aber verändert. Am Anfang war das sehr wichtig für uns. Jetzt ist es das nach wie vor, aber anders. Wir arbeiten inzwischen mit weniger Produzenten zusammen. Wenn ich z.B. an das Produzentenpaar denke, das uns mit Milchprodukten versorgt. Ja, wir werden Dir wahrscheinlich etwas über sie erzählen. Weil Du im Menü fünf- oder sechsmal Produkte von ihnen haben wirst. Du kannst dann selbst verstehen warum bestimmte Eigenschaften ihrer Milchprodukte anders sind als das was Du kennst. Oder warum es so gut schmeckt. 

Warum schmeckt eine Karotte besser, wenn ich weiss wie sie angebaut wurde?

Sie schmeckt nur dann besser, wenn sie an einem guten Ort gewachsen ist und von der richtigen Person angebaut wurde. 

Etwas über sie zu wissen, lässt sie also nicht besser schmecken?

Das macht keinen Unterschied. Sie kann trotzdem mies sein. Das verstehen viele nicht. Heute gibt  es viele Leute mit wirklich guten Intentionen. Aber sie haben oft nicht die landwirtschaftlichen Fähigkeiten und das Wissen, um ihre Ideen richtig umzusetzen. Da sind also sehr viele, sehr nette Menschen, die sehr schlechte Produkte erzeugen. Und die sind dann bio. Es geht eben nicht einfach darum, ob etwas lokal oder biologisch angebaut wurde. Das ist zweitrangig.

Und die Erfahrung des Gastes wird davon nicht beeinflusst?

Das sollte sie zumindest nicht. Auch wenn wir Dir gar nichts erzählen, solltest Du es genauso gut finden. Wir möchten Dir einfach Informationen an die Hand geben. Viele unserer Gäste finden das interessant. Andere sind überrascht, dass es jemanden gibt, der diese bestimmte Sache in Berlin anbaut. Es ist cool darüber nachzudenken, den Geschmack sollte es nicht beeinflussen. Das kann es gar nicht. Das ginge nur in einem sehr idealistischen Sinn. Natürlich kommen auch Leute, die hier eher eine Ideologie konsumieren wollen. Das ist aber nicht meine Intention. Ich will die Menschen ernähren, und das auf einer Ebene, auf der sie es normalerweise nicht tun.

Ist Genuss wichtiger als das Verständnis?

Ja. Auch weil ich weiss, dass die meisten Menschen unser Essen gar nicht so verstehen, als das was es in Wirklichkeit ist.

Warum hast du nicht in einem Restaurant gearbeitet als du auch Berlin kommen bist?

Ich wollte nicht mehr kochen. Es gab dann einen Punkt, wo ich realisiert habe, dass ich kochen musste. Ich bin dann zu verschiedenen Restaurants in Berlin gegangen und keines von denen hat mich interessiert. Also habe ich aufgehört zu suchen. Aber ich musste irgendwas tun, um mich zu finanzieren. Dann habe ich angefangen für Freunde zu kochen. So ist das Ganze ins Rollen gekommen. 

Du hast in einer Privatwohnung Menüs gekocht, die lange im Vorfeld ausgebucht waren. Deine Gerichte bestanden damals schon aus wenigen Zutaten. Reicht es zu interpretieren statt zu komponieren?

Das muss jeder selbst entscheiden. Mein Kochen ist ganz klar Interpretation. Ich koche nicht ergebnisorientiert, sondern ausgehend von dem was ich habe. Es geht immer aus von dem Produkt. Ich koche es so, wie es sich richtig anfühlt. Wir schauen uns jeden Tag an, welche frischen Produkte wir anbieten. Deswegen ändern wir auch täglich das Menü.

Das ist sehr defensiv. Im Gegensatz zu anderen Köchen, die eher offensiv kochen. 

Die grundlegende Frage ist doch was man unter Luxus versteht, wie man Feinheit und Gewandtheit interpretiert. Beinhaltet das immer Komplexität oder wird es dann einfach kompliziert?

Die Antwort scheint für dich klar zu sein.

Mein ästhetisches Empfinden ist anders als das traditionelle. Das muss aber jeder für sich entscheiden. Ich denke es gibt keine notwendige Verbindung zwischen den beiden Dingen. Aber für manche Menschen ist es so. Und es gibt Restaurant für jeden von uns. Für mich hat es mehr Kraft etwas zu kochen, was auf den ersten Blick simpel erscheint, und das wenn Du es isst zu etwas sehr komplexem wird. Genauso kreiere ich ein Menü: Die Gerichte wirken erstmal sehr schlicht. Doch wenn sie zusammenkommen werden sie zu einer unglaublich kraftvollen und komplexen Erfahrung.


Hast du dann überhaupt eine Handschrift als Koch?

Nein.

D.h. du verstehst dich eher als Begleiter?

Unsere Aufgabe ist es nichts zu zerstören. Das ist der Gegensatz dazu etwas zu reparieren, etwas gut schmecken zu lassen. Es sollte schon von sich aus gut schmecken. Unsere Aufgabe ist es das heraus zu kochen, was es so besonders macht. Das ist unser Auftrag. Nicht es zu reparieren.

Kannst du dann überhaupt stolz auf die Gerichte sein, die du kochst?

Ich denke machmal, dass etwas sehr gut schmeckt und ich genieße es. Ich glaube, ich bin auch manchmal begeistert von bestimmten Produkte oder Gerichten. Aber das ist wirklich nicht alles. 

Im Februar hast du den S.Pellegrino Award als jüngster Sternekoch Deutschlands erhalten…

Das mussten sie mir geben. Ich habe nichts dafür gemacht und sie hatten keine Wahl. Ich bin der jüngste Koch mit einem Michelin Stern. Das bedeutet absolut nichts für mich. Keine dieser Auszeichungen. Sie machen mich nicht zu einem besseren Koch. Oder dieses Restaurant besser.

Bist du ein Perfektionist?

Auf eine andere Art ja. Traditionell gedacht nicht. Meine Gerichte müssen nicht perfekt sein. Ich serviere lieber etwas aus einem richtigen Augenblick heraus, als das ich warte und feile bis das Gericht in zwei Monaten perfekt ist. Lieber serviere ich ein Gericht, das zu 90% perfekt ist, als zu 100% und zu spät kommt.

Was ist wichtiger: Fokus oder Spiel?

Fokus. Ich genieße auch gerne. Ich meine, du arbeitest hier mit anderen Menschen. Ihr verbringt viel Zeit miteinander. Sie sollte angenehme und erfreulich sein. Aber es gibt auch eine Zeit hier, wo der Fokus im Vordergrund steht. Das ist während des Services. Da sind wir alle sehr konzentriert und angespannt. Wir servieren 40 Gerichte in zweieinhalb Stunden.

Siehst du in deiner doch sehr differenzierten Idee zu kochen die Zukunft von Restaurants?

Nein. Definitiv nicht. Ich weiß nicht, was eine ideale Zukunft ist. Ich bin 26 Jahre alt. Ich versuche nicht ein Retter zu sein, oder klüger. Ich möchte einfach auf die Menschen, die zu mir kommen einen positiven Eindruck haben. Es gibt andere ganz fantastische Menschen, die Wegbereiter sind was z.B. Nachhaltigkeit angeht. Und die das auch sein wollen. Wir arbeiten hier so nachhaltig, weil wir müssen. Sonst würde das ganze nicht funktionieren. Weil wir ein begrenztes Angebot an Produkten haben müssen wir das beste daraus machen. Wir haben nicht den Luxus etwas nachzubestellen. Vielleicht bekommen wir weißen Spargel für eine Woche. Wir müssen also entscheiden, was wir damit machen. Ob ich ihn z.B. einmache. Das passiert dann ganz automatisch. Aber ich muss nicht auf instagram gehen und allen Leuten davon erzählen. Das ist nicht mein Stil. Nochmal: Es geht ums Machen. Nicht ums Erzählen. 

Geplant möchtet ihr das Ernst im Mai schließen. 

Wir werden hier ein neues Restaurant aufmachen. Kleiner, nur mit sechs Plätzen. 

Was wird sich noch verändern?

Das Menü wird anders sein. In etwa so, wie wir es ursprünglich für das Ernst geplant hatten. Das ist hier einfach anders gekommen. So wie das Restaurant jetzt ist, ist es ein sehr sozialer Ort. Hier wird viel über das, was passiert geredet. Ich möchte lieber, dass die Leute es sehen und sie sich mit dem, was passiert verbinden.

Sollen die Gäste also auch eine Erfahrung wie in der Meditation machen?

Klar. Ja. Bevor die Leute ins Ernst kommen haben sie viele Annahmen wie es sein wird. Dann sind sie überrascht, weil es sehr sozial zugeht. Es ist ein sehr fröhlicher Ort. Ich liebe das. Ich möchte, dass es so ist. Aber ich denke auch im Hinblick auf unsere Reife und unsere Entwicklung können wir weitergehen. Und diesen Ort etwas ruhiger und entspannter gestalten. Konzentrierter. Es muss nicht immer eine rein spaßige Erfahrung für jeden sein. Und es muss nicht jedem gefallen.

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Reportage: Eine Tüte jeden Donnerstag

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Portrait: Das Brot seiner Stadt