Reportage

„Einmal ohne Mafia, bitte!“

Früher zahlten Gastronomen in Palermo ihr Schutzgeld an die Cosa Nostra wie Steuergeld. Heute kämpft eine neue Unternehmergeneration mutig gegen diese Erpressung. Ob sie es schaffen ist fraglich. Die Mafiosi verdienen ihr Geld längst anders, auch auf unseren Tellern.

 Jetzt in der Dämmerung kommen mehr Leute. Die Temperaturen sind gefallen, die Luft ist angenehmer. Die Piazza Magione im Zentrum Palermos ist keine Piazza mit Marmorstatuen und Brunnen. Sie sieht aus wie eine Art Brettspiel aus Grasfläche mit ein paar hageren Zypressen, durchkreuzt von den Überresten alter Hausmauern. An den Ziegelwänden der eingrenzenden Gebäude leuchten Graffitifiguren. Ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche. Man trinkt Bier, raucht Gras, knutscht. Heute findet auf der Piazza ein Anti-Mafia Fest statt. Die Organisation Addiopizzo hat geladen. Ihr Name bedeutet übersetzt in etwa „Auf Nimmerwiedersehen, Schutzgeld!“. Ihr Fest bleibt übersichtlich. Gut ein dutzend kleiner Stände reihen sich aneinander. Es gibt Eis, die frittierten Kichererbsenfladen Piselle und allerhand Infomaterial. Am Nachmittag trat eine Theatergruppe mit alten sizilianischen Liedern und Tanzen auf. Ein ganz normales Quartierfest. Nur die Carabinierie alle paar Meter geben zu verstehen, dass es anders ist.

„Das sind nicht alle. Unter den Besuchern sind noch mehr Carabinieri in Zivil.“ 

Giuseppe Todaro lächelt so als wolle er einem Hochschullehrer erklären, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Das Eis, das sie hier verkaufen lässt er herstellen. Die Firma gehört zu seinem Kühl-und Logistikunternehmen. Der hochgewachsene Sizilianer hat freundliche Augen, klar und dunkel wie frischer Mokka. Todaro sitzt auf einer kniehohen Steinmauer. Sie grenzen an die verbliebenen  Überreste des Geburtshauses von Giovanni Falcone. Eine grüne Tafel mit kleiner Schrift erinnert daran. Lange bevor sie Anwälte wurden haben Falcone und Paolo Borsolini, die zwei berühmtesten Mafiajäger hier gespielt. Damals nach dem zweiten Weltkrieg sah die Piazza Magione noch aus wie die zerbombten Plätze in syrischen Städten heute. Als Falcone fünfzig Jahre später von der Mafia auf der Autobahn Richtung Palermo in die Luft gesprengt wurde wartete der 25-jährige Todaro ein paar hundert Meter entfernt im Stau. 

Die Bilder der Unglücksstelle, die Rettungswagen, die an Todaro vorbeirasten, der Mord an Borsolini nur wenige Wochen später, sie liessen die Sizilianer geschlossen rufen: Es reicht, ihr Narren. 

Dass dieses „es reicht“ schwieriger als erhofft werden würde, das ahnte auch Todaro damals im Jahr 1992 nicht. Mitte der 90er eröffnet er sein Unternehmen in Cisini, dem Hauptsitz der berüchtigten Mafiafamilie Di Maggio. Todaro baut sein Geschäft auf, es läuft gut. Nach drei Jahren meldet sich zum ersten Mal jemand bei ihm. Er müsse von nun an jeden Monat 2000,00 Euro an die Familie zahlen. Der junge Unternehmer wendet sich hilfesuchend an seine Freunde. Alle winken ab: „Du musst zahlen. Es gibt keine Alternative.“ Weiter sprechen sie nicht darüber. 

Für dieses Schweigen, dass selbst zwischen Vätern und Söhnen herrscht gibt es einen Namen -omertà. Es ist eine der Hauptschlagadern, die dafür sorgen dass die Mafia ihre Steuer, ihr pizzo von sizilianischen Geschäftsleuten eintreiben kann. Das Schutzgeld hat eine lange Tradition. Bereits in der Mitte des 19.Jahrhunderts mussten Bauern ihren Großgrundbesitzer eine Gebühr  zahlen, zum Schutz ihrer Ländereien. Gezahlt wird zweimal im Jahr, meist an Ostern und Weihnachten. Der Betrag hängt von der Betriebsgröße ab und davon wie hoch die Mafia den Umsatz schätzt. Jede Familie führt Kassenbücher über ihr Viertel, in denen die Unternehmen und die Summen gelistet sind. „Für die Mafia hat das pizzo zwei Funktionen: Es ist Einnahmequelle und gibt Kontrolle über ihr Territorium.“, erklärt der Anwalt Salvatore Carradonna. Die Gastronomie und ihre Zulieferbetriebe seien einer der wichtigsten Sektoren für die Mafia.  Nach wie vor zahlten die meisten Restaurants, Bäckerei und Bars ihr pizzo. Carradonna ist Gründungsmitglied von Addiopizzo. Seine Eltern haben immer offen über die Mafia geredet. Jetzt versucht ihr Sohn die Palermitaner aufzuklären. Mit Addiopizzo unterstützt er Unternehmen  dabei Schutzgelderpressungen anzuzeigen. Die Organisation begleitet die Opfer der Erpressungen und gibt für Konsumenten einen Stadtplan mit Restaurants und Läden raus, die kein Schutzgeld zahlen. Weil sie wissen, dass die Wurzel viel tiefer sitzt arbeitet Addiopizzo auch mit Schulen zusammen und ist besonders in den ärmeren Vierteln aktiv. Erfahrungsgemäß gibt es hier viele Erpressungen. 

Carradonna raucht, langsam, selbst gedrehte. Er trägt ein blaues Hemd, die obersten Knöpfe sind offen. Er zeigt auf ein Plakat über ihm. Dort prangt ein Zitat eines ehemaligen Mafiahäuptlings, Manuel Pasta: „Addiopizzo und die zugehörige Antikorruptionsbewegung sind ein Hindernis für die Mafia. Bei den teilnehmenden Unternehmen fragt man nicht nach dem Pizzo. Es würde nicht funktionieren.“ Heute würden Gründer vorher entscheiden, ob sie Schutzgeld zahlen oder nicht. Wer sich dagegen entscheidet, kann davon ausgehen, dass die Mafia ihn in Ruhe lässt. 

Trotzdem würde der Großteil immer noch zahlen, etwa 70 bis 80 % der Unternehmer schätzt Carradonna.

Für den jungen Kühlungsunternehmer Todaro in Cassini hätte ein nicht Zahlen bedeuten können, dass die Mafia dafür sorgt, dass er das Geschäft verliert. So wie bei Fabio Conticelli und seinem Bruder. Die Mafia infiltrierte ihr Unternehmen, um das Schutzgeld einzutreiben. Jeder Palermo Tourist kennt die „Antica Focacceria San Francesco“. Man isst hier Milzbrötchen, Piselle und allerhand anderes fettiges. 1834 wurde das Familienunternehmen gegründet. Seitdem ist sie berühmt für ihr Streetfood. Giuseppe Garibaldi soll hier regelmäßig gegessen haben nachdem er  1860 die Stadt eingenommen hatte. Die Kunden von heute warten meist mit anderen Touristen bis sie einen der Tische zugewiesen bekommen. Inzwischen hat die Focacceria elf Standorte in ganz Italien. Das Geschäft gehört seit 2103 übrigens zum Großteil der Unternehmensgruppe Feltrinelli. Feltrinelli ist so etwas wie der Thalia Italiens. Die Brüder verkauften 2013 ihre Anteile auch, um die Schadensersatzzahlungen für Mafia Opfer an den Staat zurückzahlen zu können. Nur das Gebäude, eine ehemalige Kirche der Benediktiner gehört ihnen noch.

Viele Touristen kommen gerade, weil sie von der Geschichte der Focacceria mit der Mafia gehört hatten. „Auch wenn sie sie nicht verstehen“, sagt Conticelli. Sie begann spät. Schutzgeld wurde nie verlangt. Nur manchmal kam jemand, von dem sie wussten wer es war und bestellte ein paar Bleche Focaccia oder 30 Panini, gratis „für einen guten Zweck“. Fabio Conticelli lächelt, wenn er davon erzählt. Seine Hände sind kleine Schaufeln. Aus dem braun gefärbten Gesicht des Spätsommers wachsen graue Bartstoppeln. Conticellis neuester Stolz ist eine Mütze aus einem ausgedienten Kaffeesack. „Cool, oder?“. Er hat die Hände in den Hüften und lacht laut hinter dem Stand, an dem die meisten anstehen. Dem mit den Piselle. Seit sie ihre Anteile an der Focacceria verkauft haben betreibt er ein Cateringunternehmen mit den selben alten Rezepten. Sein Mitarbeiter füllt eine braune Papiertüte mit Piselle und Butterkroketten und reicht sie über den Tresen.

„Die Mafia hat ein traditionelles erstes Zeichen für die Unternehmen, die noch kein Schutzgeld zahlen. Sie verkleben das Schlüsselloch. Der Name dafür ist attack. Erst später ist uns aufgefallenen, dass das attack bei uns von innen angebracht wurde.“, erzählt Conticelli. An einem Vormittag im November 2005 klingelte das Telefon. Man wolle sich gerne mit ihnen treffen, es gehe ums Geschäft. Fabios Bruder Vincenzo war damals in der Focacceria und hob den Hörer ab. Er vereinbarte den Termin für den Nachmittag bevor er die Polizei verständigte. Zwei verdeckte Ermittler sitzen am Nebentisch als der Mafiosi Vincenzo Conticelli erklärt er sei nicht wegen einer Familienfeier gekommen, sondern um die Dinge in Ordnung zu bringen. „In Ordnung bringen“ damit sagen die Erpresser, dass sie Erpresser sind. Es ist ein psychologisches Spiel. „Mafiosi sind soft. Sie überzeugen Dich. Sie sagen, komm ich will Dir helfen. Du hast ein Problem? Ich kümmere mich drum. Ti metto a posto. Aber du musst mir dafür Geld geben.“

Im Falle der Focacceria bedeutet „in Ordnung bringen“ für die Mafia 50 000 € nachträglich für die vergangenen Jahre auf den Tisch zu legen. Ab diesem Jahr seien dann 1500 € fällig.

Sie weigern sich. Wie alle anderen Unternehmer wissen die Brüder, dass im letzten Jahr die Organisation Addiopizzo gegründet wurde. Überall in der Stadt klebten da die weißen Zettel mit schwarzem Trauerrand, auf denen stand: „Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt ist ein Volk ohne Würde.“ Trotzdem bleiben die meisten Geschäftsleute nach wie vor still. Eines der letzten prominenten Mordopfer der Mafia war ein Unternehmer. Libero Grasso, alle kennen ihn. Er hatte sich 1991 in einem offenen Brief gegen seine Erpresser erhoben und wurde im selben Sommer erschossen.

Trotzdem sind sich die Brüder sicher, dass sie bei dem kriminellen Speil nicht mitmachen wollen. 52 Mitarbeiter haben sie zu dem Zeitpunkt. In vier Monaten kündigen knapp zehn von ihnen. An einem Morgen steht die Küche unter Wasser. Später stellt sich raus, dass nicht nur der Küchenchef, sondern auch weitere Mitarbeiter der Mafia zugearbeitet haben. Als Zulieferer abspringen vermittelt ein Mitarbeiter den Kontakt zu Mafiafirmen. Regelmäßig werden Kunden vor der Focacceria die Taschen gestohlen. Nicht nur das Auto von Vincenzo Conticelli, auch das ihres Anwalts brennen aus. Nach ein paar Wochen erhalten sie erneut die Aufforderung ihr pizzo zu zahlen.

Am Ende wird es der erste wichtige Gerichtsprozess wegen Schutzgelderpressung gegen die Mafia. Addiopizzo unterstützt die Brüder. 2007 steht Carradonna als ihr junger Anwalt im Gerichtssaal. Es geht emotional zu. Vincenzo Conticelli identifiziert schließlich als erster öffentlich seinen Erpresser. 

Der Prozess  befeuert die Arbeit von Addiopizzo und löst ein Ventil bei den Geschäftsleuten. Hatten bis dahin im Jahr maximal drei von ihnen Anzeige gegen ihre Erpresser erstattet, sind es heute 300.

„Die einfachere Lösung wäre gewesen zu zahlen.“,weiß Conticelli. 

Zehn Jahre hat er danach ein Auto vor dem Haus stehen. Tagein, tagaus sitzt jemand darin und beobachtet genau wer kommt und geht. Sein Bruder Vincenzo lebte bis letzten Dezember mit ständigem Personenschutz. 

Der junge Unternehmer Todaro in Cessini zahlt schließlich, zehn Jahre lang. Auch für das zweite Geschäft in Carini. Das Geld nimmt er aus der Privatkasse, erstellt eine fingierte Rechnung. So ist es sauber. „Dabei war das Geld nie das Problem. Sondern dass die Mafia ihr Netz um das Unternehmen spannte.“ Mit dem Schutzgeld klinken sich die Mafiafamilien indirekt in Unternehmen ein. Sie sorgen dafür, dass mit Mafiafirmen zusammengearbeitet wird oder bestimmen selbst die Auswahl der Mitarbeiter. „Wenn eine deiner Maschinen kaputt geht, sagen sie: ‚Kein Problem, mein Freund Mario kümmert sich darum,‘ Indem Du zahlst wirst Du Teil eines Netzes. Das kann für viele auch hilfreich sein. Diese Bequemlichkeit ist mit Grund dafür, warum viele zahlen. Doch als Unternehmer hast Du dann keine Kontrolle mehr.“ 

Das Schutzgeld entspinnt ein Netzt aus Abhängigkeit und Gefälligkeiten. Die Unternehmer zahlen aus Angst, Bequemlichkeit oder Gewohnheit. Das sichert der Mafia die Macht beim Fussvolk. Um die geht es. Das sieht auch Professor Umberto Santini so. Er leitet das Studienzentrum „Centro Siciliano di Documentazione „Giuseppe Impastato“. Hier dokumentiert er seit über vierzig Jahren die Mafia und den Kampf gegen sie. Es muss Wochen dauern, sich durch die Wände an akribisch beschrifteten Ordnern zu lesen, die hinter ihm im deckenhohen Regal stehen. „Mit dem pizzo schafft die Mafia ihren eigenen Staat. Sie ist der Herr im Haus.“, sagt Santini. „Es geht um Kontrolle: Der Verbrechen, der Wirtschaft, des Territoriums.“ Der Lebensmittelsektor und die Gastronomie seien einer der wichtigsten Geschäftsbereiche für die Mafia. Zwar ist der Drogenhandel neben der Schutzgelderpressung eine ihrer Haupteinnahmequellen, doch die Mafia  hat seit ihren Anfängen immer auch direkt mit Lebensmitteln verdient. So ist z.B. die Geschichte des Zitrusanbaus eng verwoben mit der Bildung der Mafiastrukturen im 19.Jahrhundert. 

Nach zehn Jahren ist Todaros Angst groß genug. Nicht vor der Mafia. Er hat seine Kindern nach Anstand und Respekt erzogen. Vielleicht würde sein Sohn oder seine Tochter einmal das Geschäft übernehmen. Wie könnte er ihnen dann sagen, dass Ihr Vater einmal im Monat jemandem einen Umschlag gibt?

Längst kennt er die Antwort seiner Freunde „Nein Giuseppe, es bringt nichts.“ Er glaubt, dass es Vorbilder braucht für seine Kollegen, kontaktiert Addiopizzo, hört auf zu zahlen. Die Mafia droht ihm „sein Geschäft so lange von deinen Kunden abzuschneiden, bis Du zumachst“. Als die Polizei genug Beweise hat nimmt sie insgesamt 10 Männer fest. 

Heute gilt Todaro als einer der mutigen Helden, die den Anfang machten. Er steht immer noch unter Personenschutz. Wenn er raus geht, so wie jetzt steht jemand im Hintergrund dabei. „Ich habe mich daran gewöhnt.“, sagt er. Inzwischen bringt er Kollegen zu Treffen mit Addiopizzo. Im Vergleich zu früher sei es leicht geworden für sie sich gegen die Schutzgeldzahlungen zu wehren. Die junge Unternehmergeneration könne auch offener über die Frage sprechen. Im Zusammenschluss mit anderen Geschäftsleuten könnten sie so das kulturelle Bewusstsein verändern. „Mein Ziel ist, dass die Anzeige gegen Erpressung normal wird. Nicht die Erpressung.“ 

Zwar hat die Mafia den Jahrzehntelangen Rausch exzessiver Gewalttaten aufgegeben. Sie konzentriert sich heute vor allem auf das Geschäft. Neben dem Drogenhandel und illegalem Glücksspiel wird der Agrarsektor immer wichtiger für die Mafiosi. Mit der Ausbeutung von Migranten, mit Tomaten, Zitronen, gefälschtem Wein und Olivenöl lässt sich viel Geld verdienen.  Und das in der legalen Wirtschaft. Die Produkte bleiben nicht in Italien. Auch wenn wir als Sizilien Touristen nur Augen für Granita haben und weniger für die Herausforderungen der Gastronomen. Mit unserem Einkauf zuhause sind wir längst mit der Mafia und ihren Geschäften verwoben. 

„Die sogenannte Agromafia hat heute Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln: Von der Produktion über den Transport bis hin zur Vermarktung.“, sagt Professor Santini. Vor allem Tomaten, Agrumi und Wein seien betroffen. Die Mafia investiere mehr und mehr in Agrarfirmen und in landwirtschaftliche. Besitz. Seit Jahren versuchen die Clans zunehmend Geschäfte zu machen, bei denen die Gelder in die legale Wirtschaft einfließen. Der Agrarsektor bietet sich an, auch weil er relativ krisensicher ist. Ihre Tätigkeitsfelder sind lukrativ: Die Mafia verdient mit Subventionsbetrug, Geldwäsche, der Ausbeutung von Arbeitern, Viehdiebstahl und der Fälschung von Lebensmitteln.

Ihre direkten Opfer werden heute nicht mehr ermordet, sondern arbeiten als Erntearbeiter auf den Feldern. Menschenunwürdig nennt Santini die Arbeitsbedingungen der afrikanischen Migranten, die auf den Feldern Tomaten, Melonen oder Orangen ernten. In Medien ist längst von einer modernen Sklavenhaltung die Rede. Meist leben sie in Slums vor der Stadt. Ein Caporale vermittelt den Arbeitseinsatz auf den Feldern. Ihr Lohn bemisst sich nach Erntemenge. Wer nach 14 Stunden auf dem Feld 20 Euro bekommt hat erstmal gut verdient. Doch der Caporale behält teilweise die Hälfte für Transport und Brot ein. Regelmäßig kommt es zu rassistischen Übergriffen auf die Arbeiter aus der Bevölkerung. Die Armut nährt Ressentiments. „Kleinbauern können kaum mithalten im Wettbewerb der globalisierten Landwirtschaft. Faire Arbeitslöhne sind längst nicht möglich, um konkurrenzfähig zu bleiben.“, sagt Santini.

Die Ausbeutung der Migranten ist kein spezifisch sizilianisches Phänomen. Es erstreckt sich von den Kirschen im Piemont bis zu den Tomaten und Zitrusfrüchten im gesamten Süden.

Für die Mafia ist das Geschäft auch deswegen lukrativ, weil es von den niedrigen Preise bei uns im Norden getragen wird. Wir fragen eher nach Bio-, als nach mafiafreien Tomaten. 

„In Palermo dagegen stecken die alten Mafiafamilien seit Jahren in einer Krise. Organisatorisch und wirtschaftlich. Viele Mafiosi sind verhaftet. Hier in Palermo wächst zudem die Macht der afrikanischen Verbrecherorganisationen, vor allem der nigerianischen Mafia. Die dominieren das Geschäft mit der Sexarbeit, und auch mehr und mehr den Drogenhandel.“, erklärt Sontini.

Die Schutzgeldzahlungen halten da zumindest die notwendige Verbindung an die Basis. Seid ihr noch da? fragen sie. Die Kontinuität verstehen viele auch als Sicherheit, umso mehr bei bestehender Jugendarbeitslosigkeit und den wiederkehrenden wirtschaftlichen Krisen „In erste Linie ist die Mafia ein kulturelles Problem. Sie hat sich über 150 Jahre etabliert. Und den Jungen fehlen andere Perspektiven.“ Carradonna blickt auf die Piazza Magione, auf die Kinder, die Fussball spielen. Den neuen Spielplatz hat Addiopizzo bauen lassen. Die Organisation arbeitet immer mehr mit den Schulen, versucht Aufklärungsarbeit zu leisten, die von der Regierung lange verschleppt wurde.„Das hier ist eines der schwierigsten Viertel Palermos. Vor 30 Jahren wurden hier vor allem Drogen verkauft. Im Vergleich dazu ist das heute ein Paradies. Die Leute reden mehr über die Mafia. Aber ich denke es dauert noch mindestens zwei Generationen bis sie aus den Köpfen verschwinden kann.“ Nach einer kurzen Pause sagt er: „ Un passo alla volta - Wir gehen einfach einen Schritt nach dem Anderen“

Fotoreportage: „Einmal ohne Mafia, bitte!“

 Dieses Interview erschien 2020 im Marmite Magazin Nr. 03/20

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